Presseerklärung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie
zum Artikel „Guter Schnitt" in der FAS am 20.10.2013


Am 20.10.2013 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Artikel, der sich mit der
Beschneidung und der Behandlung der Phimose bei Jungen in Deutschland beschäftigt. In diesem
Artikel wird der Berufsstand der Kinderchirurgen, insbesondere die niedergelassenen ambulant
tätigen Kinderchirurgen durch die Anschuldigung des Abrechnungsbetruges und Unterstellung, aus
ökonomischen Interessen Diagnosen vorzutäuschen, pauschal diffamiert. Als Grundlage dafür sind
lediglich eine äußerst oberflächliche Recherche, Falschdarstellungen medizinischer Sachverhalte und
wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie polarisierende Einzelmeinungen und subjektive Beurteilungen
ausgewählter Personen aufgeführt.


Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) wendet sich entschieden
gegen diese Vorwürfe und protestiert energisch gegen diese Art der Berichterstattung.


Der gegenwärtige Wissensstand zum Thema Phimose ist in der aktuellen Leitlinie der DGKCH
„Phimose und Paraphimose" (AWMF-Register Nr. 006/052) nachlesbar. Unter der Diagnose
„Phimose" ist die „Unmöglichkeit der atraumatischen Retraktion des Präputium über die Glans
infolge einer Fibrose oder Vernarbung der Präputium-Öffnung" zu verstehen. Nicht die angeborene
Vorhautverengung (primäre Phimose) ist die Hauptindikation zur operativen Vorhautentfernung, wie
im Artikel angegeben, sondern meist sind es Fibrosen bzw. Vernarbungen infolge von Verletzungen
oder Entzündungen, die die normale Entwicklung der Vorhaut verhindern und somit entfernt werden
müssen (sekundäre Phimose). Natürlich finden sich solche Veränderungen entgegen den
Ausführungen im vorliegenden Artikel nachweislich auch im Vorschulalter. Laut Leitlinie ist bei
unkompliziertem Verlauf der Beginn einer Therapie im Vorschulalter, bei Beschwerdefreiheit auch
später, zu empfehlen. Die Salbenbehandlung ist nur bei prolongierter bzw. sog. fixierter,
physiologischer Phimose sinnvoll einzusetzen, jedoch können nur ca. 30 % der Knaben dauerhaft
konservativ geheilt werden und nicht wie behauptet 60-70%.
In Übereinstimmung mit der Leitlinie wendet sich auch die DGKCH konsequent gegen eine
prophylaktische Beschneidung ohne medizinische Indikation.


Im Allgemeinen wird die medizinisch indizierte komplette oder partielle Zirkumzision von der nicht
medizinisch indizierten, kulturell oder religiös motivierten Beschneidung unterschieden. Zwischen
diesen bestehen auch Unterschiede im operativen Vorgehen. Richtet sich die OP-Technik bei der
Beschneidung vorwiegend nach religiösen oder traditionellen Vorgaben, so richtet sich das Vorgehen
bei der medizinisch indizierten Zirkumzision nach den Erfordernissen der Erkrankung der Vorhaut. Bei
Vorliegen eines Lichen sclerosus zum Beispiel (ca. 80% der sekundären Phimose), einer chronischen
Entzündung des inneren Vorhautblattes, richtet sich die Resektionsgrenze an der Vorhaut nach dem
Krankheitsbefall und erfordert in jedem Fall eine plastische Resektion der Vorhaut, die je nach
Befund mehr oder weniger ausgiebig durchgeführt werden muss. Häufig sind subtotale plastische
Resektionen erforderlich. Zudem ist wie auch bei vielen anderen Indikationen zur Zirkumzision eine
gleichzeitige plastische Verlängerung des sklerotisch verkürzten Vorhautbändchens (Frenulum breve)
erforderlich. Das sind operative Prozeduren, die nicht gleich jeder Kinderarzt am postoperativen
Ergebnis erkennen kann. Der umstrittene OPS-Code zur Abrechnung lautet: „5-640.3 Operationen am
Präputium: Frenulum- und Präputiumplastik. Synonyme: Frenulumplastik am Penis, Frenulumplastik
und Präputiumplastik" (Katalog OPS 2013). Vor diesem sachlichen Hintergrund ist das
Heraufbeschwören des Verdachtes des Abrechnungsbetruges nur aufgrund des durch konservative
Kindermediziner beurteilten, postoperativen Erscheinungsbildes, wie im vorliegenden Artikel
geschehen, methodisch falsch, völlig unbegründet und nicht zulässig.


Weiterhin betrifft, anders als im vorliegenden Artikel ausgeführt, das 6 % ige Risiko einer
Nachblutung prinzipiell alle Resektionsverfahren und keinesfalls nur die vollständige Zirkumzision.
Die vorhauterhaltenden plastischen OP-Verfahren bergen zusätzlich das relevante Risiko des
narbigen Phimosen-Rezidives, der erneuten Enge der Restvorhaut durch Narbenbildung.


Die im vorliegenden Artikel angeführten Daten des Wissenschaftlichen Institutes der AOK (WIdO)
und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sind bemerkenswert und interessant. Die darin
nachgewiesene ansteigende Anzahl an Eingriffen an der Vorhaut bei Jungen unter 5 Jahren bedarf
einer seriösen Analyse der Ursachen. Diese können vielfältig sein und sowohl auf gesellschaftlichkulturelle
Prozesse, als auch auf medizinische Entwicklungen zurück zu führen sein (siehe Leitlinie).
Bemerkenswert ist allerdings, dass sowohl WIdO als auch KV zur Klärung dieser Fragen den Weg über
die Presse nutzen, anstatt eine fundierte Klärung mit den Leistungserbringen, den Kinderchirurgen
und Kinderurologen, anzustreben.


Die DGKCH hat sich gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und
den Kinderrechtsorganisationen Deutschlands in der Planungsphase des Gesetzes zur Beschneidung
vehement für die Rechte der Kinder und aus diesem Grund auch mit aller Kraft gegen den
Gesetzesentwurf eingesetzt. Leider war unser politisches Gewicht zu gering. Auch zukünftig wird sich
die DGKCH gegen die nicht medizinisch indizierte Beschneidung bei nicht einwilligungsfähigen Jungen
einsetzen. Das ist notwendig, um die Rechte der Kinder zu wahren. Da stimmen wir zum ersten Mal
mit Frau Birgitta vom Lehn, der Autorin des vorliegenden Artikels, überein. Wenn allerdings die
Beteiligten, das heißt, Kinderchirurgen, Kinderurologen, Kinderärzte und Kostenträger wie im Fall des
vorliegenden Artikels gegeneinander ausgespielt werden, ist zu befürchten, dass es wieder an
politischer Kraft fehlen wird. Ein solcher skandalisierender und verantwortungslos diffamierender
Artikel ist nicht nur nicht sachdienlich sondern in höchstem Maße schädlich und in dieser Art völlig
unnötig. Zudem passt eine solche schlechte journalistische Qualität nicht zur FAZ.


 

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie

Gegründet im Jahr 1963, schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken, Abteilungen und als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen.

Pressekontakt: presse(at)dgkch.de