Vorab-Pressekonferenz anlässlich des 131. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie

Mittwoch, 19. März 2014, 11.00 bis 12.00 Uhr, Berlin

Kinderchirurgisches Thema und Referent

Angeborene und erworbene Schädeldeformitäten im Säuglingsalter
Professor Dr. med. Guido Fitze, Tagungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH);
Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

 

Pressekonferenz anlässlich des 131. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie

Mittwoch, 27. März 2014, 12:30 bis 13:30 Uhr, Berlin

Kinderchirurgisches Thema und Referent

Ambulante Kinderchirurgie – Dilemma oder Lösung der ökonomischen Probleme?
Professor Dr. med. Bernd Tillig, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH);
Chefarzt und Direktor der Klinik für Kinder- und Neugeborenenchirurgie und Kinderurologie, Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin

Inhalt

Redemanuskripte

  • Professor Dr. med. Guido Fitze
  • Professor Dr. med. Bernd Tillig

 

Angeborene und erworbene Schädeldeformitäten im Säuglingsalter
Professor Dr. med. Guido Fitze, Tagungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH); Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

Abweichungen der Schädelform von der Norm sind im Säuglingsalter kein seltenes Phänomen. Um diese jedoch hinsichtlich ihrer Ursächlichkeit und insbesondere in Bezug auf ihre Behandlung richtig einordnen zu können, ist eine prinzipielle Unterscheidung in angeborene und erworbene Schädel¬deformitäten notwendig.

Die angeborenen Schädeldeformitäten sind mit einer Häufigkeit von ein bis zwei Kindern auf 2 000 Neugeborene verhältnismäßig selten. Sie können in Familien gehäuft vorkommen oder auch Bestandteil eines komplexeren Krankheitsgeschehens sein und somit ihre Ursache in einer genetischen Determination haben. Die Schädelknochen wachsen auf der Grundlage einer bindegewebigen Verknöcherung. Die Knochen des Schädeldaches sind untereinander bindegewebig verbunden. An diesen Verbindungsstellen wird Knochen angelagert (sogenannter Belegknochen), wodurch der Schädelknochen an Größe zunimmt. Angeborene Schädeldeformitäten entstehen nun auf der Grundlage, dass diese bindegewebigen Verbindungsstellen der jeweiligen Schädelknochen bereits bei Geburt verknöchert sind. Somit wird an diesen angeborenen verknöcherten Schädelnähten kein Knochenwachstum mehr stattfinden können, sodass der Kopf als Ausgleichsreaktion in bestimmte andere Richtungen sein Wachstum ausdehnt. Auf dieser Grundlage entstehen in Abhängigkeit der verknöcherten Schädelnaht ganz spezifische Deformitäten des Gehirnschädels. So sehen wir zum Beispiel bei einer verknöcherten Pfeilnaht eine Schädelform, die sehr lang und schmal erscheint, den sogenannten Kahnschädel oder Scaphocephalus. Oder bei Verknöcherung der Frontalnaht entsteht ein Dreiecksschädel, der sogenannte Trigonocephalus. Abgesehen davon, dass durch die teilweise sehr prägnant veränderten Schädelformen die Kinder später an einem kosmetisch bedingten psychologischen Leidensdruck kranken, ist davon auszugehen, dass aufgrund der teils eingeschränkten Wachstumstendenz des Kopfes eine latente Hirndrucksymptomatik anzunehmen ist. Außerdem wissen wir, dass die Sehfunktion geschädigt werden kann und dass Kinder mit einer angeborenen Schädeldeformität ebenfalls eine höhere Häufigkeit an Krampfleiden entwickeln. Daraus leitet sich ab, dass die allermeisten Säuglinge mit einer angeborenen Schädeldeformität aktiv behandelt werden, was eine chirurgische Korrektur der Deformität beinhaltet. Diese operative Korrektur der Schädelform ist in den meisten Fällen ein chirurgisch-komplexer Eingriff, der für den jeweilig betroffenen Patienten individuell zu planen und durchzuführen ist.

Von diesen angeborenen Schädeldeformitäten sind die erworbenen abzugrenzen. Typisch für die erworbenen Schädeldeformitäten ist, dass die Kinder bei Geburt eine vollkommen regelrechte Konfiguration des Köpfchens zeigten. Spezielle Deformitäten haben sich dann innerhalb der ersten Lebenswochen ausgeprägt. Typisch ist im Weiteren, dass die Fontanellen normal tastbar sind, die große Fontanelle noch regelrecht offen erscheint und ebenso die Verläufe der Schädelnähte bei Abtasten völlig unauffällig sind. Das Phänomen der erworbenen Schädeldeformität steht im direkten Zusammenhang mit der seit Anfang der 90er-Jahre propagierten Prophylaxe für den plötzlichen Kindstod, wobei unter anderem eine strenge Rückenlage gefordert worden ist. Diese Prinzipien sind im Weiteren aufgrund der zunehmend aufgetretenen Schädeldeformitäten in der Hinsicht modifiziert worden, dass Kinder im wachen Zustand auch in Bauchlage oder Seitenlage liegen dürfen. Nur in den Nachtstunden beziehungsweise wenn die Kinder nicht unter direkter Beobachtung stehen, wird auch weiterhin die Rückenlage gefordert. Aufgrund dieser Situation führt die strenge Lagerung des Kopfes auf dem Hinterhaupt zu einer symmetrischen Abflachung des Hinterhauptes mit dem Resultat des erworbenen Kurzschädels, des sogenannten Brachycephalus. Wird bei der Lagerung überwiegend eine Seite des Kopfes bevorzugt, so entsteht der erworbene Plagiocephalus, was eine einseitige Abflachung des Hinterhauptes mit konsekutiver Neigung der Gesichtsebene zur Gegenseite beinhaltet. Die Entstehung derartiger erworbener Schädeldeformitäten ist somit an das normale Schädelwachstum gebunden, dass durch die Lagerung nur in eine bestimmte Richtung verschoben wird. Aus dieser Kausalität lassen sich auch direkt die Behandlungsprinzipien dieser erworbenen Deformitäten ableiten. Das Wachstum des Köpfchens ist somit durch vielfältige Maßnahmen zum Ausgleich der erworbenen Deformität zu stimulieren. Eine der wesentlichen Grundlagen ist eine physiotherapeutische Behandlung des Kindes, die die körperliche Aktivität des Säuglings stimuliert und somit die permanente Fehllage kompensieren soll. Diese physiotherapeutische Behandlung ist durch osteopathische beziehungsweise chiropraktische Maßnahmen zu ergänzen, die wieder eine freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule herstellen sollen. Es besteht Einigkeit darüber, dass gering ausgeprägte erworbene Schädeldeformitäten sich durch diese Maßnahmen und durch den spontanen Wachstumsverlauf innerhalb des ersten und zweiten Lebensjahres korrigieren lassen. Schwer ausgeprägte Deformitäten sind jedoch durch das spontane Schädelwachstum in den meisten Fällen nicht vollständig zu kompensieren. Für diese Kinder ist die Behandlung mit einer dynamischen Kopforthese in Erwägung zu ziehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird versucht, in Studien zu definieren, ab welchem Grad der Deformität eine derartige Behandlung angestrebt werden muss und welche messtechnischen Parameter Ausdruck für den Schweregrad der Deformität adäquat darstellen. Mit der Behandlung wird durch die Kopforthese das Wachstum des Schädels ganz gezielt in eine bestimmte Richtung gedrängt. Somit ist auch diese Behandlung an das Wachstum des Köpfchens gebunden und sollte somit möglichst zeitig begonnen werden, idealerweise um den sechsten Lebensmonat. Die Behandlungsdauer wird dann drei bis sechs Monate in den meisten Fällen andauern und zeigt bei entsprechender Konsequenz – und dies bedeutet, dass die Kopforthese 23 von 24 Stunden am Tag getragen werden muss – entsprechend sehr gute Ergebnisse. Es wird immer wieder erwähnt, dass die Behandlung von erworbenen Schädeldeformitäten eben nicht nur ein kosmetisches Problem darstellt, sondern durch das Fehlwachstum wesentlich komplexere Deformitäten entstehen, die zum Beispiel zu einer Fehlbelastung der Kiefergelenke, aber auch der Halswirbelsäule führen und somit zu einer vorzeitigen Abnutzung der entsprechenden knöchernen Strukturen. Ebenso wird eine Fehlbelastung der Muskulatur mit entsprechenden Schmerzsymptomen postuliert, sodass auch den erworbenen Schädeldeformitäten durchaus ein Krankheitswert zukommt.

(Es gilt das gesprochene Wort!)
Berlin, März 2014

 


 

Ambulante Kinderchirurgie – Dilemma oder Lösung der ökonomischen Probleme?
Professor Dr. med. Bernd Tillig, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH); Chefarzt und Direktor der Klinik für Kinder- und Neugeborenenchirurgie und Kinderurologie, Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin

Mit Recht fordern Eltern die bestmögliche und vor allem eine altersspezifische medizinische Versorgung für ihre Kinder. Und das nicht nur in Großstädten und Zentren, sondern wohnortnah, auch in ländlichen Regionen.

Kinderchirurgische Kliniken sind aber ähnlich wie Kinderkliniken heute finanziell und strukturell nicht mehr so ausgestattet, dass eine flächendeckende und nachhaltige Versorgung der jungen Patienten für die Zukunft gesichert werden kann. Das liegt vor allem an der Vergütung stationärer Leistungen über das DRG-System. Diese Finanzierung über Fallpauschalen berücksichtigt weder die strukturellen Besonderheiten der stationären Kinderchirurgie und Kindermedizin und die daraus resultierenden deutlich erhöhten Vorhaltekosten, noch fließen erhöhtes Risiko und steigende Qualität durch Spezialisierung in die Berechnung ein. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist die Erlössteigerung durch Erhöhung der Patientenzahl zudem faktisch ausgeschlossen.

Mögliche Lösungsansätze liegen zum einen darin, immer mehr ausgewählte kinderchirurgische Operationen bei gleicher Sicherheit und Qualität ambulant durchzuführen und zum anderen in der Konzentration von aufwendigen und spezialisierten stationären kinderchirurgischen Leistungen an immer weniger Zentren.

Ambulante Operationen sind auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen im Sozialgesetzbuch (SGB) V, Paragraf 115b auch unter Nutzung der hoch entwickelten Struktur und Ausstattung der Krankenhäuser möglich. Dadurch könnten Kosten für stationäre Leistungen eingespart und ein hoher Standard an Qualität und Patienten¬sicherheit gewährleistet werden. Zudem entspricht das ambulante Operieren mehr der Psyche der Kinder als ein Krankenhausaufenthalt und bietet zudem deutlich mehr Komfort für die ganze Familie. Die Kinderchirurgie mit zahlreichen Standardoperationen mit relativ kurzer Operationsdauer, praktisch keinem Blutverlust und geringer Komplikationsrate bietet dafür ideale Voraussetzungen. Auch moderne Operationsverfahren, wie einige minimalinvasive Operationen, und endoskopische Diagnostik sind heute durchaus bei Kindern ambulant durchführbar.

Allerdings ist die Vergütung ambulanter Operationen nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) heute noch erheblich niedriger als die Erlöse aus stationären Operationen, die nach DRG-Fallpauschalen abgerechnet werden. Folglich sind durch die hohen Kosten für die Infrastruktur an den Krankenhäusern ambulante Operationen derzeit für die Kliniken nicht kostendeckend zu realisieren und deshalb wirtschaftlich nicht lukrativ. Deshalb müssen die ambulanten Operationen aus den Kliniken heraus in ambulante Strukturen, in Niederlassungen und Praxen ausgelagert werden.
Auch die Zentralisierung der stationären Kinderchirurgie, die neben dem ökonomischen Aspekt vor allem unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung in der Perspektive erforderlich ist, setzt eine Ausweitung der ambulanten Strukturen der Kinderchirurgie voraus, um eine flächendeckende kinderchirurgische Versorgung sichern zu können.

Diesem Trend folgend hat sich die Zahl der kinderchirurgischen Praxen in den letzten zwei Dekaden mehr als verdoppelt. Zurzeit gibt es deutschlandweit 85 kinderchirurgische Praxen.

Die ambulante Kinderchirurgie ist derzeit jedoch insgesamt unterfinanziert und viele der kinder-chirurgischen Standardoperationen sind in den zumeist Einzelpraxen unter den heutigen Qualitäts¬anforderungen nicht mehr kostendeckend zu erbringen. Einer Ausweitung der ambulanten Operationsindikationen in den Praxen, etwa die Einführung moderner minimalinvasiver oder endoskopischer Operationsmethoden, stehen die hohen Investitionskosten entgegen, die mit den gegenwärtigen niedrigen Erlösen aus dem EBM nicht refinanziert werden können.

Unter diesem Dilemma, hervorgerufen durch die gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen, sind strukturell neue Wege notwendig, um bei erforderlicher Zentralisierung der stationären Kinder¬chirurgie eine flächendeckende kinderchirurgische Expertise durch ambulante Versorgungsstrukturen gewährleisten zu können. Beispiele dafür sind Kooperationen zwischen Praxis und Klinik, Praxis¬verbünde und vor allem interdisziplinäre Kooperationen in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Vorteile dieser Strukturmodelle sind Wirtschaftlichkeit durch gemeinsame Nutzung und Auslastung der vorhandenen Ressourcen, gegenseitige Vertretung, Möglichkeiten der Spezialisierung, Erhöhung der Qualität durch interdisziplinäre Zusammenarbeit, Erhöhung der Patientensicherheit und vieles mehr.

Die Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sind gefordert, entsprechende Finanzierungsmodelle zu unterstützen.

(Es gilt das gesprochene Wort!)


Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie

Gegründet im Jahr 1963, schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken, Abteilungen und als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen.

Pressekontakt: presse(at)dgkch.de


Berlin, März 2014