Kinderchirurgie – Quo vadis. Zur Versorgungsstruktur eines kleinen, modernen und sehr vielfältigen Faches der Chirurgie.

Berlin, März 2017 – Die Kinderchirurgie als eigenständiges Fach im Gebiet Chirurgie umfasst ein spezifisches Spektrum in Krankenversorgung, Forschung und Lehre. In Deutschland verzeichnen wir aktuell insgesamt 224 kinderchirurgische Einrichtungen. 

Dabei sind 90 eigenständige Kliniken für Kinderchirurgie gelistet, darunter 16
 Ordinariate. Daneben gibt es 35 kinderchirurgische Abteilungen als Bereich einer Chirurgie oder Pädiatrie, insgesamt 90 Einzel-, bzw. Gemeinschaftspraxen, davon sechs mit Belegbetten sowie 10 kinderchirurgische MVZ-en. Die Fallzahl stationärer Kinderchirurgisch versorgter Patienten verzeichnet seit 1995 einen steten Zuwachs. 

Die Kinderchirurgen/-innen machen nur 0,16 % aller berufstätigen Ärzte/-innen aus, 0,25 % aller mit Gebietsbezeichnung. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) hat derzeit 710 Mitglieder und ist damit in den letzten sechs Jahren um ca. 40 % gewachsen. Das Organ der DGKCH ist das European Journal of Pediatric Surgery (EJPS). Durch den Artikel 24 der UN-Kinderrecht-konvention wird allen kranken Kindern ein Höchstmaß an Gesundheit und vor allem das Recht auf eine kindgerechte Betreuung durch entsprechend spezialisierte Fachgebiete zugesichert. Demzufolge müssen eine kinderchirurgische Expertise und entsprechende medizinische Einrichtungen jederzeit verfügbar sein, in denen chirurgisch kranke Kinder von ärztlichem und pflegerischem Personal betreut werden, welches durch Ausbildung und Erfahrung befähigt ist, auf die körperlichen, seelischen und entwicklungsbedingten Bedürfnisse und Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien einzugehen.

Die Expertise der Kinderchirurgen /-innen sieht die DGKCH in der Erkennung, Diagnostik, operativen, postoperativen und konservativen Behandlung und Nachsorge von chirurgischen Erkrankungen, angeborenen Fehlbildungen, Organtumoren, Verletzungen und Unfallfolgen des Kindes einschließlich der pränatalen Chirurgie, jeweils geprägt von den Phänomenen Wachstum und Entwicklung. Zum Beispiel weist das wachsende Skelett bei Kindern und Jugendlichen anatomische und physiologische Besonderheiten auf, mit der Folge sehr spezieller Verletzungsformen, diagnostischer Herausforderungen und diverser zu beachtender altersangepasster Therapieoptionen. Angeborene Funktionsstörungen, etwa des oberen Harntraktes, können innerhalb des ersten Lebensjahres maturieren; die erstaunliche Plastizität des Gewebes bei Neugeborenen und Säuglingen beeinflusst das chirurgische Vorgehen maßgeblich.

Die Konzeption einer ganzheitlichen chirurgischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen muss auch die Langzeitbetreuung inklusive z.B. psychosexueller Entwicklung, etwa nach angeborener Fehlbildung, mit einschließen und beinhaltet letztendlich auch die Transition. Die Notwendigkeit einer Spezialisierung auf das Wachstums- und Entwicklungsalter auch im chirurgischen Bereich ist belegt.

Mindestvoraussetzungen für eine qualifizierte ambulante und stationäre kinderchirurgische Versorgung sind laut DGKCH der Facharztstatus und eine qualifizierte Kinderkrankenpflege sowie altersgerechte räumliche und fachlich adäquate strukturelle Bedingungen. Die Verfügbarkeit des kinderchirurgischen Facharztes muss 24h an 365 Tagen betragen. Die Zusammenarbeit mit Spezialisten der Kinder- und Jugendmedizin, der Geburtshilfe, der Kinderintensivmedizin und der Neonatologie, möglichst in einem Zentrum für konservative und operative Kinder- und Jugendmedizin mit Perinatalzentrum und der Verfügbarkeit von Kinderradiologie, Kinderanästhesie und Kinderpathologie ist anzustreben und Voraussetzung für höchste Betreuungsqualität und Patientensicherheit.
Auch Krankenhausplaner, Universitäten und (Kinder-)Kliniken stehen hier in der Verantwortung, nachdem gegenwärtig eine Kinderchirurgische Klinik mindestens 2500 DRG-Fälle benötigt, um entsprechende Dienststrukturen implementieren zu können. In Bayern beispielsweise ist aktuell eine Kinderchirurgie nur in 75 % der Perinatalzentren „vor Ort", in weniger als 50 % unterstützt von einer ausgewiesenen Kinderradiologie; nur die Hälfte dieser Kinderchirurgischen Einrichtungen verfügt dort über die volle Weiterbildungsermächtigung. Entsprechende Kooperationsmodelle sind hier erforderlich.

Die Aufgabe und Chance für die Zukunft sieht die DGKCH in einer Konzentration der Expertise und Zentralisierung spezialisierter, kinderchirurgischer Versorgung in einer dem Bedarf entsprechenden Zahl an Referenzzentren (es gibt Fehlbildungen, von denen z. B. in Bayern weniger als 50 pro Jahr auftreten) und kinderchirurgischen Kliniken der Maximalversorgung. Die Zentralisierung ist gleichzeitig die wichtigste Voraussetzung für Qualitätssicherung sowie für Grundlagen- und Versorgungsforschung und eine effektive Weiterbildung. Zusatzqualifikationen (z. B. Kindertraumatolgie, Kinderurologie) , Zertifikate (z. B. „Neugeborenenchirurgie") bzw. Schwerpunktbildungen (z. B. Verbrennungsmedizin) sollen etabliert werden.

Für eine auf der anderen Seite möglichst flächendeckende kinderchirurgische Versorgung sind zudem kinderchirurgische Bereiche der Regelversorgung im Verbund mit Einrichtungen der Kinder- und Jugendmedizin sowie Kooperationen zwischen Zentren und Kliniken sowie sektorenübergreifende Konzepte der ambulanten kinderchirurgischen Versorgung erforderlich. Zudem betont die DGKCH die Notwendigkeit direkter interdisziplinäre Kooperationen mit benachbarten chirurgischen Fachgebieten in klinischer Versorgung, Weiterbildung, Fortbildung und Forschung in Abhängigkeit von den lokalen Bedingungen und verweist auf hierbei auf erfolgreich gelebte Modelle in verschiedenen Städten.

Die Bevölkerungsentwicklung und die anhaltend positive Geburtenrate lassen auf einen wachsenden Bedarf an strukturierter Kinderchirurgischer Versorgung schließen. Die hohe Attraktivität diese Faches unter den jungen Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg der Weiterbildung und nicht zu Letzt mehr und mehr kreative Arbeitszeitmodelle stimmen die DGKCH optimistisch, eine hochqualitative kinderchirurgische Versorgung für die Zukunft zu sichern, trotz derzeit eher negativer struktureller und ökonomischer Entwicklungen im Gesundheitswesen.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie

Gegründet im Jahr 1963, schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken, Abteilungen und als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen. 

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Pressesprecher: 
Dr. Tobias Schuster, Augsburg